… von starren, verschulten Studienverläufen und dem Verlust von intrinsischer Motivation und studentischem Engagement
perspektive n im Rahmen der Vortragsreihe „Nachhaltigkeit konkret“ an der Hochschule Aalen
Am 12.6. wagten mir uns an eine abgewandelte perspektive n an der Hochschule Aalen. Prof. Dr. Ulrich Holzbaur, Nachhaltigkeitsbeauftragter, und Daniela Dorrer, Referentin für nachhaltige Entwicklung, luden uns in die seit vier Jahren bestehende Vortragsreihe „Nachhaltigkeit konkret“ ein, damit wir mit knapp 35 Studierenden über den Stand und die Entwicklungsmöglichkeiten der Nachhaltigkeit an ihrer Hochschule ins Gespräch kommen. Ein Diskussionsformat war ein Novum in dieser Reihe, denn normalerweise referieren hochschulexterne Expert_innen über die vielfältigsten Themen mit Nachhaltigkeitsbezug. Die Studierenden erwerben in dieser Veranstaltung, die Teil des fächerübergreifenden Studium Generale ist, Leistungspunkte. Wir waren neugierig, wie motiviert, kritisch und engagiert die Studierenden sein würden
Den Ablauf der perspektive n änderten wir angesichts dieses Rahmens ab, denn erstens war kein Wissen über die Verbindung von Nachhaltigkeit und Hochschule vorauszusetzen, zweitens fehlt an der Hochschule Aalen eine studentische Initiative, die sich dieses Themas annimmt und die Impulse der Veranstaltung aufnehmen könnte, und drittens hatten wir dieses Mal keine festen Diskutant_innen wie z.B. Entscheider_innen der Hochschule vorgesehen, wodurch wir alleinig auf die studentischen Bedürfnisse und Ideen eingehen konnten.
Eingangs gaben Michael und Josef einen 40-minütigen Input über die ökologischen, sozialen und ökonomischen Krisen der Menschheit, um darauf aufbauend als Antwort auf diese Krisen den Begriff der nachhaltigen Entwicklung vorzuschlagen. Anschließend skizzierten wir die Notwendigkeit, dass Hochschulen sich verändern müssen. konkretisierten den Nachhaltigkeitsbegriff für die hochschulischen Handlungsbereiche Lehre, Forschung, Betrieb, Governance und Transfer, begründeten, warum Hochschulen Veränderungen nur sehr behäbig vollziehen, und stellten in einem letzten Schritt die nationalen und internationalen politischen Prozesse (WAP BNE, Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, SDGs, Pariser Klimaabkommen) sowie die Aktivitäten des netzwerk n vor, durch die extern und intern Transformations-Druck auf Hochschulen ausgeübt wird. In der anschließenden offenen Fishbowl-Diskussion, die wir durch Farbkartenabstimmungen, zwei Murmelrunden und ein Good-Practice-Video von den TU Projektwerkstätten ergänzten, konzentrierten wir uns auf den Stand der nachhaltigen Entwicklung an der Hochschule Aalen, das studentische Engagement und die Lehre.
Welche Erkenntnisse nehmen wir mit?
- Die anwesenden Studierenden kennen kaum Beispiele für nachhaltige Entwicklung an ihrer eigenen Hochschule – sei es in Lehre, Forschung, Betrieb und Governance –, obwohl es doch einige positive Ansätze wie das Fairtrade University-Label, eine Ringvorlesung, das fächerübergreifende Studium Generale, starke Kooperationen mit der Kommune und Unternehmen aus der Region, Projekt-Praxis-Seminare, den (vorerst gescheiterten) Versuch, ein EMAS-Umweltmanagement einzuführen, oder Solar-Panel auf dem Hochschuldach gibt. Ebenso war nur einer Person das Nachhaltigkeitsreferat von Daniela Dorrer bekannt.
- Das studentische Engagement für nachhaltige Hochschule ist inexistent, weswegen der Druck für Veränderungsprozesse aus der Studierendenschaft heraus ausbleibt. Sicherlich liegt dies in einer eher geringen intrinsischen Motivation der Studierenden begründet, allerdings ist das studentische Verhalten in dieser Art Teufelskreis auch gut verständlich: Das vollgepackte, sich teils über den kompletten Tag erstreckende, verschulte Studium auf der Jagd nach Workload, eine Überfrachtung mit Prüfungsleistungen und hierarchisch vorgegebene Lerninhalte lassen kaum Zeit für kritische Selbstreflexion und Lust auf Engagement. Die überwiegend didaktisch am Frontalvortrag ausgerichteten, minimal auf Selbstreflexion, Eigeninitiative, selbstorganisierte Lern- und Forschungsprozesse, Empowerment, Gestaltungskompetenz und kreative Problemlösekompetenz zielenden Lehr- und Lernangebote tun ihr übriges, um die im ersten Semester noch durchaus funkelnde intrinsische Motivation in wenigen Semestern aus den Augen der Studierenden zu löschen, die dann im Sinne von Effizienz ihren Workload und stets ihre Employability mit Blick auf die berufliche Karriere zu optimieren versuchen.
- Die Diskussionsbereitschaft und die Freude am diskursiven Austausch unter den Anwesenden waren sehr zurückhaltend. Dennoch merkten wir in den Murmelrunden und den kurzen Gesprächen zwischendurch, dass die Studierenden durchaus ein Interesse am Thema haben und Meinungen besitzen, allerdings der Mut und das Vertrauen, vor Gruppen selbstbestimmt eine Meinung oder ein Argument zu vertreten und auch Kritik vorzubringen, erst noch geweckt werden muss. Dies gelang uns ehrlicherweise in den knapp 2 Stunden nur bedingt, weswegen wir für uns lernten, bei einer solchen Konstellation künftig noch viel stärker auf aktivierende Kleingruppen-Methoden à la World-Café zu setzen und erst zum Schluss die Ergebnisse in einem offenen Fisbowl zusammenzufassen.
Für die Hochschule bleibt zu wünschen, dass ein Kulturwandel in der Lehre angegangen wird und damit ein Wandel im studentischen Engagement befördert. Denkbar wäre überdies, projekt- und forschungsorientierte Seminarformate zu konzipieren und diese mit nachhaltiger Hochschulentwicklung zu verknüpfen, also z.B. Studierende in konkrete Projekte an der Hochschule wie für ein Umweltmanagementsystem einzubinden. Wir wünschen viel Erfolg und hoffen, zumindest einen Impuls für die Bedeutung des Raums Hochschule als Lehr-, Lern-, Lebens- und Experimentierraum gesetzt zu haben. Das unermüdliche Engagement des Nachhaltigkeitsreferats ist vorbildlich und bemerkenswert – herzlichen Dank für die Einladung und die Organisation der Veranstaltung.
Diskutanten und Diskutantinnen:
- Josef Kaiser, Vorstand netzwerk n, Mitgründer studentische Initiative Nachhaltigkeitsbüro an der HU Berlin
- … und alle Anwesenden
Moderation: Dr. Michael Flohr , netzwerk n e.V.