netzwerk n

Ressourcen / Good Practice

Modul: Wissenschaft trägt Verantwortung

Leuphana Universität Lüneburg

Inhalt

Das Leuphana Semester hat zum Ziel, Studienanfänger_innen an der Leuphana Universität Lüneburg einen Einstieg in das wissenschaftliche Denken und Arbeiten zu ermöglichen. Eines der insgesamt fünf Module stellt dabei die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft. Hierbei nimmt das Konzept der nachhaltigen Entwicklung eine zentrale Rolle ein, um einen interdisziplinären Diskurs der Nachhaltigkeitsforschung anzubieten. Während in einer Vorlesungsreihe und begleitenden Tutorien der inhaltliche Rahmen abgesteckt wird, erproben die Studierenden in Projektseminaren eigene Thesen zur nachhaltigen Entwicklung und präsentieren diese schließlich in einer abschließenden Konferenzwoche.

Kontext

Als Teil einer fachübergreifenden Einführung in die Wissenschaft ist das Modul Wissenschaft trägt Verantwortung in das sogenannte Leuphana Semester eingebettet. Inspiriert von der anglo-amerikanischen Tradition der Colleges steht hier neben der fachlichen Ausbildung ein allgemeinbildender Übergang von der Schule zur Universität im Mittelpunkt, der kritisches Denken, Persönlichkeitsbildung und Democratic Citizenship betont.

Zum Leuphana Semester gehören neben dem Modul Wissenschaft trägt Verantwortung noch zwei weitere fachüberschreitende Module. Die Module „Wissenschaft lehrt Verstehen“ und „Wissenschaft nutzt Methoden“ führen an die Standards wissenschaftlichen Arbeitens und die methodologischen Selbstverständnisse unterschiedlicher Wissenschaftskulturen heran. Zwei fachbezogene Module führen im Leuphana Semester schließlich in das jeweilige Hauptfach (Major) und in die fachspezifischen Methoden ein.

Ziele

Das Modul Wissenschaft trägt Verantwortung ist als Startpunkt für ein gesellschafts-orientiertes Bachelor-Studium konzipiert, das sich am Bildungsziel der Gestaltungskompetenz messen lassen möchte. Das Modul lädt rund 1.500 Erstsemester-Studierende dazu ein, das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung wissenschaftlich zu reflektieren. Das Verantwortungsmodul öffnet für die Studierenden den Erfahrungsraum wissenschaftlicher Praxis von Beginn an, um sie für ein gelingendes Studium zu gewinnen. Als zentrales Element des Moduls vertiefen rund 60 Projektseminare mit bis zu 30 Teilnehmenden exemplarisch ein Themenfeld der nachhaltigen Entwicklung und erkunden im Sinne des forschenden Lernens erstmals Forschungsgelände. In überschaubaren Projekten erarbeiten die Studierenden eigenständige Fragen und Hypothesen, die mit der Konferenzwoche zum Ende des Semesters auch ein hochschulöffentliches Forum finden.

Die Studierenden beschäftigen sich mit grundlegenden Fragen der Verantwortung (von Wissenschaft) in der Gesellschaft und konkretisieren dies am Konzept einer nachhaltigen Entwicklung. In inter- und transdisziplinären Ansätzen analysieren sie hierzu eigenständig Fragestellungen und stellen die Ergebnisse im Rahmen einer Konferenz vor [1].

Qualifikationsziele: Das Modul ermöglicht den Studierenden, sich die methodischen und fachlichen Kompetenzen anzueignen, um sich mit Fragen der nachhaltigen Entwicklung analytisch und normativ plausibel auseinandersetzen zu können. Dazu gehört die Fähigkeit, die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft reflektieren zu können.

Fachkompetenz

Die Studierenden:

  • kennen wesentliche gesellschaftstheoretische Bezüge und gerechtigkeitstheoretische Ansätze, um die Rolle gesellschaftlicher Verantwortung in unterschiedlichen
    Handlungsfeldern zu beschreiben und zu analysieren
  • sind mit den wesentlichen Aspekten des Konzepts einer nachhaltigen Entwicklung als ein normativer Rahmen für Verantwortung in der Gesellschaft vertraut
  • sind in der Lage, eine dem Themenfeld der nachhaltigen Entwicklung angemessene Forschungsfrage zu entwickeln
  • können gezielt Wissensbestände aus unterschiedlichen Disziplinen und bei Bedarf außerwissenschaftlichen Berufsfeldern, die für den Gegenstand sowie die Ziele
    und Fragen ihres Projekts relevant sind, aufarbeiten und zusammenführen

Methodenkompetenz

Die Studierenden:

  • können mit Blick auf die Fragestellung ihres Projekts geeignete Methoden auswählen und anwenden sowie die Vor- und Nachteile dieser Methoden diskutieren
  • können ihre Ergebnisse zielorientiert aufbereiten und einem breiten Publikum präsentieren
  • erlangen die Fähigkeit, einzelne Ergebnisse in einen größeren Zusammenhang zu stellen

Personale Kompetenz

Die Studierenden:

  • können selbstgesteuert und eigenverantwortlich abgeschlossene Projekte bearbeiten
  • kennen Methoden zur Unterstützung der Kommunikations und Arbeitsprozesse in einem (interdisziplinären) Team
  • können sich auf Personen aus anderen Disziplinen einstellen und sind in der Lage, einen für alle Beteiligten fruchtbaren interdisziplinären Prozess in Gang zu bringen

Strukturen und Inhalte

Das Modul „Wissenschaft trägt Verantwortung“ im Leuphana Semester verzahnt vier überwiegend parallellaufende Veranstaltungen miteinander: Eine Vorlesungsreihe mit begleitenden Tutorien sowie einem vertiefenden Projektseminar, dessen Ergebnisse auf der Konferenzwoche präsentiert werden. Diese stellt sowohl das Ende als auch den Höhepunkt des Leuphana Semesters dar.

Vorlesungsreihe und begleitende Tutorien

Eine Vorlesungsreihe und begleitende Tutorien stecken den inhaltlichen Rahmen des Moduls ab: Sie führen in das vielschichtige Thema der nachhaltigen Entwicklung ein und statten die Studierenden mit dem ersten Rüstzeug aus, um sich in der interdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung orientieren zu können. In der Vorlesung treffen die Studierenden auf Lehrende, die mit ihnen die Perspektiven wechseln – zwischen einzelnen Fachrichtungen und der zivilgesellschaftlichen Praxis.

Projektseminar und Konferenzwoche

In den Projektseminaren sollen die Studierenden die Gelegenheit bekommen, eine erste Forschungsfrage im Bereich der nachhaltigen Entwicklung im Sinne des forschenden Lernens zu entwickeln und zu bearbeiten. Abgeschlossen wird das Modul mit einer studentischen Konferenz, auf der sich die Studierenden wechselseitig die Projektergebnisse präsentieren. Die Lehr-/Lernformate des Moduls lassen sich idealtypisch in drei Phasen des Wissenschaftsprozesses zuordnen: Während die Vorlesungsreihe und die Tutorien für den eher klassischen Wissenserwerb stehen, lehnen sich die Projektseminare an die Phase der eigentlichen Wissensgenerierung an. Die Konferenzwoche schließlich greift die kommunikative Phase des Wissenschaftsprozesses auf: Die dreitägige Konferenzwoche rundet das Leuphana Semester ab. Dabei stellen die Studierenden
ihre Projektarbeiten aus den Seminaren vor. Die stets unter einem Motto stehende Konferenz – 2016 etwa „Wie wollen wir 2030 leben?“ – deckt dabei ein breites Spektrum
an Programmaktivitäten ab [2]. Neben von den Studierenden organisierten Podiumsdiskussionen, Workshops und Präsentationen gehören auch kreative, künstlerische sowie aktionistische Formate zum Konferenzprogramm.

Ergebnisse

Rund 1.500 Studierende beginnen jährlich an der Leuphana Universität Lüneburg zu studieren und durchlaufen somit das Leuphana Semester. Das Modul lädt die Studierenden ab der ersten Woche dazu ein, verantwortliches Handeln im 21. Jahrhundert auszuloten. Projektorientiert vertiefen sie sich in Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung, auch um die Rolle der Wissenschaft bei der gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung zu erkunden. Für die Studierenden erwächst daraus die Chance, das weitere Studium mit einem besonders aufmerksamen Blick für Fragen der Verantwortung zu konfrontieren. Das Komplementärstudium ab dem zweiten Semester greift diese Idee auf, indem es einen fachübergreifenden Freiraum schafft, der gesellschaftliche Problemlagen und fachwissenschaftliche Perspektiven in Spannung versetzt. Die Konferenzwoche konnte sichals ein Multiplikator für das Lernen für eine nachhaltige Entwicklung etablieren. Zugänglich ist die Konferenz für alle Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden der Universität Lüneburg sowie für alle Bürger_innen. Einige Formate versuchen auch gezielt, die Themen aus der Universität ins öffentliche Leben zu tragen.

Implementierungsstrategie

Charakteristisch für das Modul Wissenschaft trägt Verantwortung ist, dass es im Bachelor-Studienmodell der Leuphana Universität Lüneburg fest verankert ist und durch die Hochschulleitung getragen wird. Alle Studierenden belegen das Modul im ersten Semester obligatorisch. Hinzukommt, dass das Modul mit seinen zehn ECTS-Punkten auch prüfungsrelevant ist. Das Möglichkeitsfenster für das gesamte Studienmodell ergab sich im Rahmen eines Neuausrichtungsprozesses der Universität Lüneburg, welcher Idee und Organisation des Studiums ab 2006 grundlegend und anhand der Leitbilder „Humanismus, Nachhaltigkeit und Handlungsorientierung“ neu konzipierte. Ein wesentlicher Faktor dabei, das Modul Wissenschaft trägt Verantwortung inhaltlich über Fragen und Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung zu prägen, aber auch die starke Position der Lüneburger Umweltwissenschaften innerhalb der Universität. Die institutionelle Absicherung des Verantwortungsmoduls wurde 2010 mit der Gründung der deutschlandweit ersten Fakultät Nachhaltigkeit nochmals gestärkt.

Erfahrungsbericht

Die konzeptionellen und didaktischen Anforderungen an die Projektseminare sind im Kontext deutscher Hochschullehre keinesfalls selbstverständlich. Im Modul sind daher eine Reihe von innovativen Veranstaltungsformaten, Begleitwerkstätten und Unterstützungsmaterialien für die Studierenden entwickelt und erprobt worden – etwa der Leitfaden für die Projektarbeit. Um das forschende Lernen zu kultivieren, gilt es die reichhaltigen Lehrerfahrungen im Modul und die Ideen neuer Lehrender zusammenbringen. So ist es im Laufe der letzten sechs Jahren gelungen, das jeweilige Leuphana Semester mit einem Lehrenden-Workshop vorzubereiten. Die didaktischen Kernelemente des Moduls verändern fraglos die Rolle der Lehrenden. Die Dozent_innen klassischer Prägung werden im Modul „Wissenschaft trägt Verantwortung“ im Idealfall zu Moderator_innen gelingender Kooperationsund Selbstlernprozesse. Ein solcher Wandel lässt sich nicht verordnen, sondern nur kollegial erarbeiten.

Das Projekt wird an der Universität gut aufgenommen. Die ständigen Anpassungsmaßnahmen an die Bedarfe der Teilnehmer_innen haben die Attraktivität des Zertifikatsprogramms stetig erhöht, sodass nun die Teilnehmerzahl und auch die Absolventenquote pro Semester konstant sind. Es hat sich gezeigt, dass das Angebot erst eine gewisse Zeit brauchte, um sich an der Universität zu etablieren. Anfangs waren durchaus mehr Masterstudierende aus den umweltbezogenen Studiengängen im Programm angemeldet, ab 2012 veränderte sich die Zusammensetzung der Teilnehmenden. In den letzten Semestern ist die Nachfrage deutlich in den nicht umweltbezogenen Studiengängen gestiegen (Produktdesign, Soziologie, Psychologie etc.). Die Rückmeldung der Absolvent_innen ist durchweg positiv. Die Kombination des Angebots mit den unterschiedlichen Lehrformaten und dem Angebot an Exkursionen und Workshops wecken insbesondere das Interesse der Studierenden und auch der Promovierenden an hochschuldidaktischer Weiterbildung und senken zudem die Hemmschwelle, solche Angebote wahrzunehmen. Da es unter anderem bereits Exkursionen zu potentiellen späteren Arbeitgebern im Umweltbereich oder auch im Bereich der Erneuerbaren Energien gab, sind bei Studierenden und Promovierenden in der Endphase die wiederkehrenden Exkursionen zum Sammeln von Eindrücken besonders interessant. Es gab bereits eine Studentin, die uns zurückgemeldet hat, dass sie durch das Zertifikat UmweltWissen bei einer Bewerbung auf ein Stellenangebot berücksichtigt wurde und anschließend die Stelle erhalten habe. Das Zertifikatsprogramm hat innerhalb der Hochschule bereits Nachahmer_innen aus unterschiedlichen Bereichen gefunden, außerhalb der Hochschule ist uns noch kein ähnliches Programm, das Studierende und Promovierende gleichermaßen nutzen, bekannt.

Kernprinzipien

  • Humanismus und Nachhaltigkeit. Das Modul „Wissenschaft trägt Verantwortung“ reflektiert in besonderer Weise das Bildungsanliegen der Universität, eine fachüberschreitende Einführung in die Wissenschaft mit Democratic Citizenship zu verbinden.
  • Fachüberschreitende Didaktik. Ziel ist es einen fachlich unverstellten Blick zu entwickeln, indem die Studierenden im Leuphana Semester in fachüberschreitenden Lerngemeinschaften zusammenkommen. Im Laufe des Studiums erhalten idealerweise die Studierenden eine inter- und transdisziplinären Diskursfähigkeit, die zweifelsfrei auf disziplinäre Kompetenz angewiesen bleibt.
  • Forschendes Lernen. Fragen der nachhaltigen Entwicklung im Modus des lernenden Forschens und forschenden Lernens nachzuspüren, ermöglicht auf der Seite der Studierenden, Wissenschaft als ganzen Forschungszyklus zu erfahren – von der eigenen Fragestellung über das Methodenarrangement bis zur selbst gewählten Ergebnisdarstellung.
    Der inhaltliche Anspruch schickt Lernende als Forschende auf den Weg, um sich als Bürger_innen mit gleichen politischen Mitwirkungsrechten zu entdecken.
  • Handlungsorientierung. Insbesondere in den Projektseminaren geht es um die Entwicklung von Gestaltungskompetenz, die erst die demokratische Kreativität erzeugt, auf welche eine „Große Transformation“ im Sinne des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU) angewiesen ist. Die Reflexion zu den Schlüsselproblemen der Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Gedankenexperiment, sondern in einen weltgesellschaftlichen Lernprozess eingebunden. Das Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) greift das Anliegen der politischen Bildung auf und verschränkt es mit Impulsen aus umwelt- und entwicklungsorientierten Bildungsansätzen. Es stellt den Fokus auf zukunftsfähige Entwicklungen ein, die sich an Maßstäben der Gerechtigkeit messen lassen können.