Inhalt
Die Sustainability Challenge ist eine Praxis-Lehrveranstaltung zu nachhaltiger Stadtentwicklung der WU Wien, der BOKU Wien, der TU Wien und der Universität Wien, welche vom RCE Vienna koordiniert wird. Jährlich nehmen 60-80 Studierende an dem theoretischen Unterricht zu Ökologischer Ökonomie, Klimawandel, Architektur, Raumplanung und Politikwissenschaft teil. Parallel dazu arbeiten sie in Teams, entweder an einem selbstentwickelten Start- up-Projekt oder gemeinsam mit Praxispartner_ innen, an einem Service-Learning-Projekt. Die Veranstaltung schult Problemlösungskompetenzen, Konfliktfähigkeit, Erfahrungswissen, vernetztes Denken, Teamfähigkeit und fördert die Gestaltungskompetenzen.
Kontext
Seit dem Sommersemester 2010 wird die Sustainability Challenge an den vier größten Wiener Universitäten angeboten (Universität Wien, TU, WU, BOKU). Idee, Methode, Konzept und Realisierung stammen vom International Network for Educational Exchange (INEX). 2013 wurde die Koordination an das Regional Centre of Expertise on Education for Sustainable Development (RCE) Vienna übergeben. Im Rahmen der Sustainability Challenge bestehen unter anderem Kooperationen mit der Österreichischen UNESCO-Kommission (ÖUK), dem österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) sowie zahlreichen Projektpartner_innen.
Ziele
Die Sustainability Challenge versteht sich als zielgerichtete Bildungsmaßnahme, die das Thema nachhaltige Entwicklung tief in den Köpfen der Teilnehmenden verankern soll. Das Ziel ist, eine gemeinsame Wissensbasis im Kopf der Teilnehmenden und eine gemeinsame Erfahrungsbasis im Herzen der Entscheidungsträger_innen von morgen zu schaffen. Die Organisator_innen sind der Ansicht, dass nachhaltige Entwicklung nur durch Interdisziplinarität erreicht werden kann. Diese wird einerseits durch die Teilnahme von Studierenden von verschiedenen Universitäten und Fachrichtungen sowie durch den inhaltlichen Aufbau gewährleistet. Auf individueller Ebene sollen den Studierenden Problemlösungskompetenzen, Konfliktfähigkeit, Erfahrungswissen, vernetztes Denken, Teamfähigkeit und Gestaltungskompetenz vermittelt werden. Auf einer allgemeinen Ebene ist das Ziel der Sustainability Challenge, eine Zusammenarbeit verschiedener Sektoren im Dienste einer gerechten, lebensfähigen und lebenswerten Welt zu erreichen. Explizit werden dabei die Bereiche Wissenschaft, Wirtschaft und Politik genannt. Die durch die Lehrveranstaltung zu „Change Agents“ werdenden Teilnehmenden sollen außerdem in weiterführende Projekte miteinbezogen werden.
Strukturen und Inhalte
Umfang
Jedes Jahr nehmen 60-80 Studierende teil (durchschnittlich 15-20 Teilnehmende pro Universität). Die Studierenden bewerben sich während der Bewerbungsphase im Frühjahr mit ihrem Lebenslauf, einem Motivationsschreiben und einem Beleg über ihren universitären Fortschritt. Interessierte für den Start-up-Track bewerben sich bereits mit einer konkreten Start-up-Idee, die sie im Rahmen der Sustainability Challenge entwickeln möchten. Das Projektteam der Sustainability Challenge bewertet die Bewerbungen und sucht die passendsten Teilnehmenden aus. Die teilnehmenden Studierenden können sich die Lehrveranstaltung im Rahmen von (freien) Wahlfächern in ihren Studien im Umfang von sechs (WU/BOKU), sieben (TU) bzw. acht (Uni Wien) ECTS-Punkten anrechnen lassen.
Zeitplan
2016 wurde die Lehrveranstaltung von einem auf zwei Semester erweitert. Die Lehrveranstaltung beginnt im Oktober mit einem Teambuilding für alle Teilnehmenden und einer öffentlichen Kick-Off-Veranstaltung. Jene Studierenden, die am Service-Learning-Track teilnehmen, lernen bei diesen Gelegenheiten ihre jeweiligen Praxispartner_innen kennen. Die Start-up-Studierenden haben die Möglichkeit, sich untereinander und mit den Start-up-Expert_innen über ihre Ideen auszutauschen. Im Januar wird das Semester mit einem Zwischenpräsentation („Stop-Over-Event“) abgeschlossen, bei dem alle Teilnehmenden, Lehrenden, Partner_innen und Gäste aus Wirtschaft und Politik für die erstmalige öffentliche Präsentation der Projektkonzepte zusammenkommen. Das Sommersemester dient der konkreten Umsetzung und wird im Juni durch eine Abschlussveranstaltung („Touch Down“) beendet, bei dem wiederum alle Beteiligten und Interessierten für die Abschlusspräsentationen der umgesetzten Projekte versammelt sind und die Ergebnisse diskutieren.
Praxis
Das Service Learning stellt eine Methode des experimentellen Lernens dar, dessen Ziel es ist, die Sustainability Challenge noch interaktiver und vor allem praxisrelevanter zu machen. Sie verknüpft den Unterricht mit der „lokalen Gesellschaft“. Der Schwerpunkt der Methode liegt in der eigenverantwortlichen Arbeitsweise der Studierenden, die ein Problem bzw. Bedürfnis in der Gesellschaft adressieren und sich für die Konzeptionierung von Lösungsvorschlägen an ausgewählte Partner_innen wenden. In enger Zusammenarbeit mit den Projektpartner_innen – bspw. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Unternehmen – wird also an „tatsächlich vorhandenen Problemen und Herausforderungen“ gearbeitet. Ähnlich verhält es sich im Start-up-Track, hier arbeiten die Studierenden an den von ihnen selbst entwickelten Projekten mit Unterstützung durch Start-up-Expert_innen.
Theorie
Die inhaltlichen Einheiten finden für alle Teilnehmenden jeweils an einer der vier teilnehmenden Universitäten statt und veranschaulichen den Fokus der jeweiligen Disziplin. So steht an der BOKU das Thema „Klimawandel“ im Fokus, an der TU „Nachhaltiges Bauen und Raumforschung“, an der WU „Ökologische Ökonomien“ und an der Universität Wien, Institut für Politikwissenschaften, „Sozial-ökologische Politiken“. Die Theorieeinheiten vertiefen den jeweiligen Jahresthemenschwerpunkt im Bereich nachhaltige Stadtentwicklung. Die theoretischen Einheiten beinhalten Vorträge von Expert_innen, Diskussionen, Gruppenarbeiten und Evaluierungen in Panelgesprächen und werden möglichst interaktiv gestaltet. Insgesamt gibt es im Sommersemester sechs ganztägige Blöcke. Die Teilnehmenden des Start-up-Tracks besuchen außerdem Workshops des Entrepreneurship Center Networks (ECN) an der WU.
Ergebnisse
Die Sustainability Challenge findet derzeit zum achten Mal statt (Stand Februar 2018). Dabei wurden bisher bei jeder Ausführung 60–90 Studierende erreicht sowie über die Service Learning Projekte bis zu 20 Akteur_innen aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft einbezogen. Die Bandbreite letzterer reicht von Unternehmen, über außeruniversitäre wissenschaftliche Institute bis hin zu verschiedenen NGOs. Die Sustainability Challenge erhielt den Best of Austria Award 2017 und wurde im selben Jahr für den UNESCO Japan Prize nominiert. 2016 war das Projekt auf der Shortlist für den Ars Docendi, dem Staatspreis für exzellente Lehre an österreichischen Universitäten. Außerdem wurde es mit dem WU-Award „Innovative Lehre 2013“ ausgezeichnet und erreichte beim Sustainability Award 2012, der in Österreich vom Umwelt- sowie Wissenschaftsministerium verliehen wird, im Handlungsfeld Studentische Initiativen den 2. Platz.
Auswahl von Projektbeispielen 2017/2018: Im Studienjahr 2017/2018 arbeiteten die Studierenden in Teams jeweils an einem der elf Service-Learning- und acht Start-up-Projekte.
Beispiele Service Learning [1]:
- Team „Verbund“ erkundet die Möglichkeiten, Photovoltaikanlagen auf Mehrparteienhäusern zu installieren. Das Gesetz hat es in Österreich vor kurzem erst möglich gemacht; eine gängige Praxis hat sich noch keine etabliert. Die Studierenden wollen in Interviews herausfinden, was die Bedürfnisse der Mieter_innen, Eigentümer_innen und Hausbesitzer_innen sind.
- Team „klimaaktiv“ plant ein Kinderbuch, das über Klimawandel aufklärt und zum Handeln anregt. Im Vorfeld analysieren die Studierenden, wie in verschiedenen Medien über den Klimawandel gesprochen wird und entwerfen eine Diskurslandkarte.
Beispiele Start-up [2]:
- Die Terra-P Kompostwurst schützt vor Erosion und begrünt Wüsten. Zuallererst ist sie aber hochwertiger, regionaler Humus, abgefüllt im biologisch abbaubaren Jutesack, in dem Garten-, Balkon- und Fensterbrettaussaaten vor Schädlingen geschützt wachsen. Ein Teil des Erlöses fließt in eine Bildungsinitiative in Bangladesch, in dem auch die Jute hergestellt wird, ein weiterer in die Bodenfruchtbarkeitsforschung und in Aufforstungsprojekte.
- Track-It entwickelt eine App, die transparent machen soll, woher die Rohstoffe für bestimmte Konsumgüter kommen, wo sich die Produktionsstätten befinden und welche Transportwege die Güter hinter sich haben. Das Team hat sich zum Ziel gesetzt, bereits vorhandenes Wissen zum Thema zu bündeln und verfügbar zu machen.
- Wiener Mischung, das Regionalshampoo, ist ein zu 100 Prozent ökologisch abbaubares Shampoo, bestehend aus nachwachsenden regionalen Rohstoffen. Seine Inhaltsstoffe können außerdem je nach Haartyp individuell zusammengestellt werden. Daher eignet sich das Shampoo insbesondere für Friseursalons, die ihre Kund_innen individuell beraten wollen.
Implementierungsstrategie
Der ersten Umsetzung der Sustainability Challenge gingen Verhandlungen mit Vizerektoraten für Lehre über die zu vergebenden Lehraufträge, die zu benützenden Räumlichkeiten, die Suche nach Lehrenden, die sich der Aufgabe annehmen würden, sowie der Inhalte über ein Jahr voraus. Als Ergebnis dieser Abstimmungen kam erstmals ein interuniversitärer Syllabus, also die detaillierte Lehrveranstaltungsbeschreibung, zustande, die den genauen Aufbau, die Methode und die Inhalte der Lehrveranstaltung festhielt. Der Grundstein für eine erfolgreiche Außenkommunikation war gelegt. Im Frühjahr 2010 konnte somit die Ausschreibung der Veranstaltung unter potenziellen Teilnehmenden der vier Universitäten Wiens beginnen. Statt einer gewöhnlichen Werbekampagne wurde eine „Themenkampagne“ an und im Umfeld der Universitäten mit Plakaten, Flyern und Infoständen geführt. Auf die knapp 200 Bewerbungen von interessierten Studierenden folgte eine Aufstockung von 40 auf 90 Plätze.
Erfahrungsbericht
Die Sustainability Challenge ist eine tolle Möglichkeit, in einer Gruppe von Studierenden unterschiedlichster Studienrichtungen mit Hilfe von engagierten Lehrenden und Projektpartnern gemeinsam auf ein nachhaltiges Ziel hinzuarbeiten. In den interdisziplinären Projektgruppen bringt jeder seine Fähigkeiten ein, um scheinbar utopische Ziele zu erreichen.
Gesine Koinzer, WU-Teilnehmerin 2016/2017
Das Zusammenführen der Denkweisen von vier Universitäten – Lehrende und Studierende – im Ringen um Lösungen aktueller Probleme macht den besonderen Reiz und Erfolg dieser Lehrveranstaltung aus.
Prof. Helga Kromp-Kolb, BOKU-Lehrende
SPAR engagiert sich bei der Sustainability Challenge, weil uns der interdisziplinäre Ansatz durch die vier großen Wiener Universitäten fasziniert, wir die neuen Blickwinkel des internationalen Studententeams schätzen und weil wir dem Team einen Praxiseinblick in den nachhaltigen Lebensmittelhandel bieten wollen.
Franz Hölzl, Praxispartner, SPAR
Die Sustainability Challenge hat sich seit 2010 erfolgreich etabliert. Sie hebt sich durch die intensive Betreuung, den regen interdisziplinären Austausch und ihre ausgewählten Studierenden hervor.
Dipl.-Ing. Renata Krenn, ehemalige Teilnehmerin, heute Projektkoordinatorin der Sustainability Challenge
Kernprinzipien
- Interdisziplinarität in Zusammensetzung der Teilnehmenden sowie inhaltlich
- Service Learning und Praxisbezug als Grundgedanke
- Anrechenbarkeit als Wahlfach
- Interuniversitäre Kooperation